Jahresrückblick

Das Jahr 2021 war von einer breiten öffentlichen Diskussion zu sexualisierter Gewalt in verschiedenen Kontexten geprägt.

Die Missbrauchsfälle Staufen, Lüdge, Bergisch Gladbach und Münster haben zu einer intensiven politischen Debatte und zu Verschärfungen des Strafrechts geführt. Am 16. Juni beschloss der Bundestag ein Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Der Grundtatbestand der sexuellen Gewalt gegen Kinder kann nun als Verbrechen mit einem höheren Strafrahmen geahndet werden, ebenso wie die Verbreitung, der Besitz und die Besitzverschaffung von Kinderpornografie. Mit der neuen Strafnorm soll zudem das Inverkehrbringen und der Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild unter Strafe gestellt werden. Zu den weitergehenden Ermittlungsbefugnissen der
Strafverfolgungsbehörden gehören Anpassungen der Straftatenkataloge der Telekommunikationsüberwachung, der Online-Durchsuchung sowie bei der Erhebung von Verkehrsdaten.

Weiterhin war die Positionierung der katholischen Kirche zu ihrem eigenen Umgang bei sexuellem Missbrauch in der Kritik und wird als Grund für eine Vielzahl von Kirchenaustritten benannt.

Zum Juni 2021 trat das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz in Kraft. Damit wurden verschiedene Bereiche des SGB VIII neu und umfassend geregelt. Ziel ist, Kinder und Jugendliche aus einem belastendem Lebensumfeld besser zu schützen und ihnen mehr Chancen auf Teilhabe zu geben. Unter anderem wurden der Beratungsanspruch von Kindern und Jugendlichen unabhängig von einer Not- und Konfliktlage definiert und die Erteilung einer Betriebserlaubnis von Kindertagesstätten an das Vorhandensein eines Schutzkonzeptes geknüpft.

Der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Herbst 2018 eingerichtete Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ hat seine Bilanz der gemeinsamen Arbeit in der 19. Legislaturperiode vorgelegt. Im Positionspapier enthalten ist das Bekenntnis zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Dafür soll in der nächsten Legislaturperiode eine bundesgesetzliche Regelung zur Finanzierung des Unterstützungssystems in einem eigenen Bundesgesetz entwickelt werden.

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat die Studie „Sexuelle Gewalt in der Familie. Gesellschaftliche Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von 1945 bis in die Gegenwart“ veröffentlicht. Sie ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes von Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität Frankfurt am Main zur gesellschaftlichen Aufarbeitung dieses Tatkontextes und zeigt neben dem spezifischen sexuellen Kindesmissbrauch in der Familie auch die
Verantwortung unserer Gesellschaft für Hilfe und Aufarbeitung auf.

Pünktlich zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen hat die MaLisa-Stiftung gemeinsam mit der UFA GmbH die Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen. Eine Medieninhaltsanalyse“ veröffentlicht. Sie liefert erstmals einen Überblick über die Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen TV. Die Studie wurde von Prof. Dr. Christine Linke und Ruth Kasdorf M.A. durchgeführt und ist ein Kooperationsprojekt der Hochschule Wismar und der Universität Rostock.

Für Betroffene von sexualisierter Gewalt gibt es unterschiedliche Hilfe- und Beratungsangebote. Doch nicht nur für direkt Betroffene, auch für Angehörige, Fachkräfte und alle Menschen, die sich um ein Kind sorgen, wurden Angebote entwickelt. Die digitale Fortbildung „Was ist los mit Jaron?“ hat das Ziel, Lehrer*innen und Schulsozialarbeiter*innen für das Thema sexualisierte Gewalt zu sensibilisieren und
ihnen Basiswissen zum Umgang zu vermitteln. Der Kurs wurde vom Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) in Kooperation mit den Kultusbehörden der Länder entwickelt und kann kostenfrei unter www.was-ist-los-mit-jaron.de absolviert werden.

Für die Beratungsstelle startete das Jahr 2021 mit der Umfirmierung in „Wildwasser Karlsruhe – Verein gegen sexualisierte Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“, nachdem das zuständige Registergericht der Namensänderung zugestimmt hatte. Damit spiegelt sich die Öffnung der Beratungsstelle für alle von sexualisierter Gewalt Betroffenen nun auch im Vereinsnamen wider.

Der neue Name und die Öffnung für alle Betroffenen von sexualisierter Gewalt erforderten einen neuen visuellen Auftritt und eine Überarbeitung der kompletten Geschäftsausstattung sowie aller Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit. Im Juli 2021 ging hierfür dann als erste öffentlichkeitswirksame Maßnahme unsere neue Website live, ein wichtiger Schritt, um auch betroffenen Jungen und Männern unser Beratungsangebot bekannt machen zu können. Mit der neu gestalteten Website haben wir eine wichtige
Präsenz und Information im Internet. Derzeit werden unsere neu erstellten Flyer und Plakate an verschiedene Einrichtungen verteilt.

Ebenso im Juli konnte Wildwasser Karlsruhe nach langer Suche zusätzliche Beratungsräume anmieten. In der Kaiserstraße 235 ist die Beratungsstelle nun auf zwei Stockwerken im 3. und 4. OG zu finden. Das 4. OG wurde barrierefrei umgebaut und damit ist Wildwasser auch für Menschen mit Behinderung niedrigschwellig erreichbar. Ebenfalls befindet sich im 4. OG ein größerer Besprechungsraum, in dem Fortbildungen und Veranstaltungen inhouse durchgeführt werden können. Dank der neuen Räume und dem damit verbundenen zusätzlichen Platzangebot ist das Arbeiten für das Team trotz der immer noch herausfordernden Rahmenbedingungen durch Covid-19 deutlich entspannter.

Die Covid-19 Pandemie hatte auch in ihrem zweiten Jahr deutliche Auswirkungen auf unsere Beratungsarbeit. Persönliche Beratungen fanden zwischen März und April und von November bis Dezember nur eingeschränkt unter Wahrung unseres Hygienekonzeptes statt. Alternativ dazu nutzten wir digitale Wege der Kommunikation sowie das Telefon, um Beratungen anzubieten. Teambesprechungen und Supervision fanden über Videokonferenzen statt und Aufgaben wurden, wo möglich, ins Homeoffice verlegt.
Fortbildungs- und Präventionsveranstaltungen für Fachkräfte, Eltern und Ehrenamtliche
wurden deutlich weniger angefragt.

Ein weiterer Schwerpunkt im Jahr 2021 war die Konzeptentwicklung zum Thema Schutzkonzepte. Mit der Kick-off Veranstaltung im Oktober setzte Wildwasser Karlsruhe den Startpunkt für die Unterstützung und Begleitung von Einrichtungen bei der Entwicklung von Schutzkonzepten. Durch das neue Kinderjugendstärkungsgesetz KJSG im Juni 2021 ist die Betriebserlaubnis von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe an ein Gewaltschutzkonzept geknüpft (§45 SGB VIII), was die Relevanz unseres Angebotes unterstreicht. Darüber hinaus bietet Wildwasser Karlsruhe seit September für alle Interessierten regelmäßig kostenfreie Infoabende rund um das Thema sexualisierte Gewalt an. Im Moment finden diese aufgrund von Covid-19 noch digital statt, wir hoffen allerdings in Kürze auf Präsenz umsteigen zu können. Möglich wurden diese präventiven Angebote durch die Bewilligung von zusätzlichen Kapazitäten durch die Stadt Karlsruhe.

Ende 2021 traf Wildwasser Karlsruhe die Entscheidung sich an der Kampagne „nachtsam.
Für mehr Sicherheit im Nachtleben“ vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg zu beteiligen. Diese richtet sich landesweit an alle Protagonistinnen des Nachtlebens, z.B. Betreiberinnen von und Mitarbeitende in Clubs, Bars, Diskotheken sowie an alle, die (n)achtsam feiern möchten. Mitwirkende erhalten durch Schulungen mehr Handlungssicherheit für schwierige Situationen und werden damit in ihrer Arbeit unterstützt. Es stehen Online- sowie Präsenz-Trainings für Betreiber*innen zur Verfügung. Die Präsenz-Trainings in Karlsruhe werden von Wildwasser durchgeführt.

Wildwasser Karlsruhe stellt Insoweit erfahrene Fachkräfte (IeF, §§ 8a, 8b SGB VIII) für die Stadt und den Landkreis Karlsruhe für den Bereich der sexualisierten Gewalt. Um auch die neuen Mitarbeiterinnen bestmöglich für diese Aufgabe zu qualifizieren und gemeinsame Standards zu etablieren, absolvierte das Team der Beratungsstelle Wildwasser Karlsruhe beim Lüttringhaus-Institut den Kinderschutz-Zertifikatskurz „Insoweit erfahrene Fachkraft gem. SGB VIII und KKG“.

Auch personelle Veränderungen gab es in 2021. Wir freuen uns sehr, eine neue erfahrene Mitarbeiterin, Annette Heck, für die Fachberatung gewinnen zu können. Im Vorstand löste Anja Kritsch Jana Marschall ab, die sich nicht wieder für die Vorstandswahl aufstellen ließ. Anja Kritsch ergänzt nun das wieder gewählte Vorstandsteam mit Ingrid Reutemann und Margot Isele.