Jahresüberblick

In der Beratungsstelle Wildwasser Karlsruhe kehrte im Laufe des Jahres 2022 eine gewisse Normalität in der Arbeit zurück. Corona spielte zwar weiterhin eine Rolle und das Team handelte entsprechend des vorliegenden Hygienekonzeptes, allerdings fand der Großteil der Beratungen wieder persönlich statt und auch die Veranstaltungen wurden in Absprache mit der jeweiligen Einrichtung wieder vermehrt in Präsenz durchgeführt. Dies war möglich, da die neuen Beratungsräume und der Gruppenraum die erforderlichen Abstandsregeln erlaubten und einzelne Veranstaltungen auch hybrid durchgeführt werden
konnten.

Nach den reduzierten Kontaktmöglichkeiten in den Jahren zuvor, waren die Anfragen nach Fortbildungen und Präventionsveranstaltungen in 2022 sehr hoch. So führte Wildwasser Karlsruhe insgesamt 63 Veranstaltungen durch. Mit dem Projekt nachtsam, finanziert vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg, wird die fachliche Kompetenz von Wildwasser Karlsruhe von einem ganz neuen Personenkreis nachgefragt. Belästigungen, Übergriffe und Gewalt sind im Nachtleben sehr präsent. Betreiberinnen von und Mitarbeitende in Clubs, Bars und Diskotheken wurden von Wildwasser im Rahmen der Kampagne geschult. Sie wurden sensibilisiert zum Thema sexuelle Belästigung und Übergriffe und erhielten so mehr Unterstützung in ihrer Arbeit und Handlungssicherheit für schwierige Situationen. Das Projekt läuft auch in 2023 weiter.

Zu einer wirkungsvollen Prävention gehören Qualifizierungsmaßnahmen für Mitarbeitende aller Dienste, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, sowie die Förderung von Sensibilität und Aufmerksamkeit gegenüber sexualisierter Gewalt. Ein großer Schwerpunkt im Jahr 2022 war daher die Begleitung und Unterstützung von Einrichtungen bei der Entwicklung von Schutzkonzepten. Für die Gegenwart und Zukunft wurden Maßnahmen und Prozesse zur Prävention und Intervention etabliert, um sexualisierte Gewalt zu verhindern. Wir erreichten im Jahr 2022 über Informationsgespräche und Workshops 15 Träger mit insg. 89 Einrichtungen. An einer offenen Informationsveranstaltung zur Schutzkonzeptentwicklung nahmen außerdem etwa 20 weitere Fachkräfte teil. Aufgrund der hohen Anfrage konnten nicht alle Einrichtungen bedient werden, unser Angebot ist bis Ende 2023 bereits ausgebucht. Aus diesem Grund prüfen wir aktuell, wie wir hierfür in 2023 weitere Kapazitäten schaffen können.

Neue Schwerpunkte und neue Mitarbeiterinnen in unserer Beratungsarbeit machten eine Erweiterung der Räume und Umbaumaßnahmen in der Beratungsstelle erforderlich. Endlich gibt es nun einen barrierefreien Zugang zu unserem Angebot. Gruppenveranstaltungen können im eigens dafür geschaffenen Konferenzraum angeboten werden.

Eine Veränderung gab es in 2022 auch bei unserem Online-Beratungs-Angebot. Nachdem unser bisheriges Online-Beratungstool „Beranet“ von Zone35 eingestellt wurde, wechselte Wildwasser Karlsruhe zum Online-Beratungssystem der DGfPI (Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und sexualisier ter Gewalt e.V.). Dieses wird seit 2021 für alle Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt angeboten und ermöglicht eine sichere und vor allem niedrigeschwellige Onlineberatung.

Trauma sensibles Qigong heißt das neue Angebot, an dem Klientinnen seit Mitte 2022 dank der finanziellen Unterstützung des Internationalen Frauenclubs Karlsruhe bei Wildwasser Karlsruhe teilnehmen können. Die Teilnehmerinnen bekommen dabei Übungen an die Hand, die sie auch zu Hause in schwierigen Situationen einsetzen oder einfach zur Entspannung für sich nutzen können. Angeleitet werden die Qigong-Übungen durch unsere Mitarbeiterin Mona Schmid, die eine Qigong-Lehrerinnen Ausbildung absolviert hat.

Am 12. Oktober 2022 konnte bei Wildwasser Karlsruhe der schon lang geplante Tag der offenen Tür stattfinden. Dabei wurde die Öffnung der Beratungsstelle für die männliche Zielgruppe und der Bezug der neuen zusätzlichen Räumlichkeiten gefeiert. Diese zusätzlichen Räume wurden notwendig, weil das Beratungsstellenteam von sechs auf inzwischen neun Mitarbeiterinnen angestiegen ist. Der Einladung folgten ca. 90 Teilnehmerinnen aus Stadt und Landkreis Karlsruhe. Nach der Begrüßung durch die Vorstandsfrauen und die Geschäftsführerin folgten Begrüßungsworte von Karina Langeneckert, Leiterin der Sozial- und Jugendbehörde Stadt Karlsruhe und Dominik Weiskopf, Amtsleiter des Jugendamts Landkreis Karlsruhe. Samira Seidler gab im Anschluss mit einem kurzen Vortrag einen Einblick in den neuen Arbeitsbereich mit Jungen und Männern*. Der Tag stand ganz im Zeichen der Vernetzung. In einzelnen Themenräumen stellten die Beraterinnen der Beratungsstelle die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit vor.

Informationen zu Wildwasser Karlsruhe finden Interessierte seit kurzem nicht nur auf der Website www.wildwasser-karlsruhe.de, sondern auch auf den sozialen Netzwerken Instagram und Facebook. Diese werden von zwei Vereinsfrauen und einer ehemaligen Praktikantin ehrenamtlich betreut. Neben der Erstellung von Posts, steht nun auch die weitere Vernetzung im Fokus der Aktivitäten.

Um die Bedarfe der Betroffenen sexualisierter Gewalt sowie der spezialisierten Fachberatungsstellen zu bündeln und Informationen rund um sexualisierte Gewalt politisch einzubringen, bedarf es übergreifender Koordinierungsstellen. Wildwasser Karlsruhe ist deswegen jetzt Teil der LKSF Baden-Württemberg e.V. – Landeskoordinierung spezialisierter Fachberatung bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend und des Landesverbandes Frauen gegen Gewalt Baden-Württemberg (LF*GG).

Das Thema sexuelle Gewalt war im Jahr 2022 verstärkt in Medien und Politik präsent. Da dies Auswirkungen auf die Nachfrage nach Beratung und Prävention vor Ort im Berichtsjahr hatte und auch in Zukunft haben wird, sollen hier die angestoßenen Diskussionen auf überregionaler Ebene erwähnt werden.

So legte die Aufarbeitungskommission sexueller Kindesmissbrauch den Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Wege zu mehr Gerechtigkeit nach sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend“ vor. Das Forschungsteam um Kommissionsmitglied Prof. Dr. Barbara Kavemann hat damit an die Studie zu Erwartungen Betroffener angeknüpft. Die meisten von ihnen sagen, dass es für sie keine Gerechtigkeit nach der erfahrenen Gewalt geben wird, dennoch gibt es vielfältige Überlegungen, wie gerechtere Verhältnisse geschaffen werden können.(https://www.aufarbeitungskommission.de/mediathek/wege-zu-mehr-gerechtigkeit-nach-sexueller-gewalt-in-kindheit-und-jugend/)

Im Frühjahr 2022 wurde durch die Deutsche Ordensobernkonferenz der „Ausschuss für unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bereich von Ordensgemeinschaften“ eingerichtet. Grundlage seiner Arbeit ist die mit dem damaligen Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, veröffentlichte „Gemeinsame Erklärung zur verbindlichen Regelung für eine unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Ordensgemeinschaften“. Nun soll die bereits bestehende Betroffenenbeteiligung ausgebaut werden. Hierzu gibt es den Aufruf zur Vernetzung an
Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bereich von Ordensgemeinschaften. (https://aufarbeitung-orden.de/)

Auch im Bereich des Sports hat die Aufarbeitung sexueller Übergriffe begonnen. Eine nun vorliegende Studie analysiert die bei der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs eingegangenen schriftlichen Berichte und durchgeführten vertraulichen mündlichen Anhörungen von Betroffenen sexueller Gewalt aus dem Bereich des Sports. Die Auswertung der vertraulichen Anhörungen und schriftlichen Berichte der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs kann hier her untergeladen werden: https://www.aufarbeitungskommission.de/wp-content/uploads/Se
xueller-Kindesmissbrauch-Kontext-Sport_Studie_Aufarbeitungskommission_bf.pdf.

GREVIO, der Expert*innenausschuss des Europarates, hat im Oktober seinen ersten Evaluierungsbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland veröffentlicht und gravierende Lücken festgestellt. So fehlt nicht nur ein bundesweites Monitoring, weithin bekannt ist auch die unzureichende Finanzierung des Frauenunterstützungssystems. Zu dem weist GREVIO auf den absolut unzureichenden Schutz geflüchteter Frauen in Unterkünften hin.

Rund um das Thema sexualisierte Gewalt wurden in 2022 verschiedene neue Kampagnen und Online-Portale etabliert.

Mit „Schieb den Gedanken nicht weg“ haben BMFSFJ und UBSKM eine neue auf mehrere Jahre ausgelegte Aufklärungs- und Aktivierungskampagne gegen sexualisierte Gewaltkonzipiert. Diese adressiert das Handlungswissen insbesondere im nahen Umfeld von Kindern und Jugendlichen, aber auch darüber hinaus. Weitere Informationen zur Kampagne sowie Materialien zum Download und Bestellen finden sich auf www.hilfe-portal-missbrauch.de und www.nicht-wegschieben.de.

Die von klicksafe gemeinsam mit JUUUPORT und mit Unterstützung der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) entwickelte bundesweite Kampagne „#WehrDICH und #GegenCybergrooming“ bietet umfangreiche Materialien für Jugendliche und ist unter https://www.klicksafe.de/news/cybergrooming-kampagne-vonklicksafe-und-juuuport einsehbar.

Die App und das Online Portal „#UNDDU? Mach Dich stark!“ von Innocence in Danger richtet sich einerseits an Fachkräfte, klärt aber auch Jugendliche und Eltern umfassend über sexualisierte Gewalt in den neuen Medien auf und bietet Hilfe an. Über eine Postleitzahlen Suchfunktion kann Hilfe zu Beratung, Rechtsanwält*innen oder medizinischen/therapeutischen Angeboten gefiltert werden (https://unddu-portal.de/de).

Das Wissensportal Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Strukturen „Wissenschaft Hilfe“ ist seit kurzem online. Es bietet unter wissen-schafft-hilfe.org kostenlose Beratung bei organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt. Das vom BMFSFJ geförderte Projekt ist ein ermutigender Anfang und eine große Stärkung der Akzeptanz des Themas.
Es ist das erste Mal, dass hier in multidisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis Wissen zusammengetragen und veröffentlicht wurde.

Die neue barrierefreie Internetseite www.einfach-sicher-online.com zu digitaler Gewalt von PETZE Prävention und dem Frauennotruf Hannover e.V. informiert zu Themen wie digitaler Gewalt, sexualisierter Gewalt, Cybergrooming und Hate Speech, aber auch zu Porno, Online Dating, Sexting und Hilfsmöglichkeiten.

„EinsbisZwei“ heißt der neue Podcast des UBSKM. Bei „EinsbisZwei“ geben Kinderschutzexpert*innen, Fahnder*innen, Journalist*innen, Betroffene oder Erziehungsprofis Einblicke in Themen wie Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge „EinbisZwei“ – überall, wo es Podcasts gibt.