Jahresüberblick
Die Auslastung der Fachberatungsstelle Wildwasser Karlsruhe war in 2023 gleichbleibend hoch – dies betraf sowohl die Anzahl an Beratungsanfragen als auch die Nachfrage nach Fortbildungen und Präventionsveranstaltungen. Letztere sind sogar um rund 59 % von 63 auf 100 Veranstaltungen gestiegen. 20 % davon machten alleine Schulungen rund um das Thema Schutzkonzepte aus.
Um die Anfragen nach Präventionsveranstaltungen bedienen zu können, entschied sich Wildwasser Anfang des Jahres eine zusätzliche Präventionsfachkraft zu beschäftigen. Seit 1. Juli 2023 unterstützt uns Jessica Roth mit 20 Stunden pro Woche. Sie bringt umfangreiches Fachwissen und Erfahrungen in der Präventions- und Schutzkonzeptarbeit mit.
Darüber hinaus reagierte Wildwasser auf das wachsende Interesse an Fortbildungen und Präventionsveranstaltungen mit eigenen Inhouse-Fortbildungen zu den unterschiedlichsten Themen rund um sexualisierte Gewalt. Zielsetzung ist, möglichst vielen Fachkräften ein Angebot zu machen, ihr Wissen um dieses wichtige Thema auf- und auszubauen. Das Fortbildungsprogramm für 2024 findet sich auf unserer Website https://wildwasser-karlsruhe.de/praevention-uebersicht/fortbildungen/.
Mit der Neueinstellung in 2023 umfasst das Team der Beratungsstelle nun insgesamt 10 Mitarbeiterinnen mit unterschiedlichen Stellenkontingenten. Die Gesamtstellenkapazität betrug Ende 2023 5,48 Stellen.
Doch nicht nur das Team der Beratungsstelle erhielt Verstärkung, sondern auch in der Vorstandszusammensetzung gab es Veränderungen. In der Mitgliederversammlung vom 21. März 2023 wurde der Vorstand neu gewählt. Margot Isele und Anja Kritsch haben sich erneut für den Vorstandsposten zur Verfügung gestellt. Als Nachfolgerin von Ingrid Reutemann wurde Dagmar Fiebich gewählt. Mit ihr gestaltet nun eine Wildwasser Frau der „ersten“ Stunde die Geschicke der Beratungsstelle mit.
Leider wurde unsere Website im Mai 2023 Ziel eines Hackerangriffs, so dass unser kompletter Websiteauftritt nochmals neu aufgesetzt werden musste. Während dieser Zeit konnten wir nur rudimentäre Inhalte zu unserer Beratungsstelle und unserem Angebot zur Verfügung stellen. Seit Anfang August ist die Website wieder online. Inzwischen sind die meisten technischen Mängel behoben, die durch den Angriff entstandenen „Aufräum-Arbeiten“ werden in Kürze abgeschlossen.
Das Thema sexuelle Gewalt war im Jahr 2023 verstärkt in Medien und Politik präsent. Da dies Auswirkungen auf die Nachfrage nach Beratung und Prävention vor Ort im Berichtsjahr hatte und auch in Zukunft haben wird, sollen hier die angestoßenen Diskussionen auf über regionaler Ebene erwähnt werden.
Um Menschen mit Einwanderungsgeschichte besser zu erreichen, hat sich Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs den Rat von Expert*innen eingeholt. Die zwölften Werkstattgespräche am 10.11.2023 fanden zum Thema Sexueller Missbrauch und Menschen mit Einwanderungsgeschichte statt. Hintergrund ist, dass sich deutlich weniger Menschen mit Einwanderungsgeschichte bei der Kommission melden, als es dem Bevölkerungsdurchschnitt entspräche. Mehr Informationen zu den Inhalten der 12. Werkstattgespräche finden sich unter https://www.aufarbeitungskommission.de/servicepresse/service/meldungen/sexueller-missbrauch-und-menschen-mit-einwanderungsgeschichte-die-zwoelften-werkstattgespraeche/.
Darüber hinaus beschäftigte sich die Aufarbeitungskommission mit der Arbeit der Jugendämter bei sexuellem Kindesmissbrauch. Kindern und Jugendlichen, die sexualisierte Gewalt erfahren, muss schnell und wirksam geholfen werden. Dafür ist das Wissen über sexuellen Kindesmissbrauch bei den Fachkräften in Jugendämtern entscheidend. Die Erfahrungen von Betroffenen geben wertvolle Hinweise zur Verbesserung von Schutz und Hilfe. Jugendämter sollten auch erwachsene Betroffene unterstützen und ihnen Akteneinsicht ermöglichen. Die Studie kann unter folgendem Link herunterladen werden: https://www.aufarbeitungskommission.de/mediathek/sexueller-kindesmissbrauch-und-die-arbeit-der-jugendaemter/.
In Sachen Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ging die EU einen wichtigen Schritt und ratifizierte die Konvention im Juni 2023, am 1. Oktober 2023 trat sie daraufhin in Kraft. Dies kann eine positive Wende in der Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt durch Mitgliedstaaten darstellen. Initiativen, wie z. B. die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, sind erforderlich, um EU-weit einen einheitlichen Mindestschutz vor den schwersten sowie neuen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu gewährleisten.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) ist von der Bundesregierung damit betraut worden, eine unabhängige Berichterstattungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt einzurichten. Sie hat die Aufgabe, die Umsetzung der Istanbul-Konvention des Europarats unabhängig zu beobachten und zu begleiten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert die vierjährige Aufbauphase der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt. In 2023 hat die Berichterstattungsstelle den ersten Bericht über die Datenlage zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Deutschland veröffentlicht. Der Bericht ist unter folgendem Link zu finden.
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/bericht-ueber-die-datenlage-zu-geschlechtsspezifischer-gewalt-gegen-frauen-und-haeuslicher-gewalt-indeutschland
Ein wichtiger Aspekt der Istanbul Konvention sieht gemäß Artikel 25 zur Unterstützung für Opfer sexueller Gewalt vor, die „Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Krisenzentren für Opfer von Vergewaltigung und sexueller Gewalt in ausreichender Zahl zu er möglichen, um Opfer medizinische und gerichtsfeste Untersuchungen […] anzubieten“. Mit der Eröffnung einer weiteren Gewaltambulanz in Stuttgart im November konnte die Versorgungslage hierzu in Deutschland verbessert werden. Opfer von sexualisierter und häuslicher Gewalt können sich dort kostenlos unabhängig von Alter und Geschlecht Spuren verfahrensunabhängig sichern lassen. Die Gewaltambulanz befindet sich im Klinikum Stuttgart
direkt neben der Notaufnahme. Aktuell ist sie erreichbar von 08.00-17.00 Uhr, ab Februar 2024 soll ein 24h Dienst eingerichtet sein.
Im Sommer wurde in Berlin ein wichtiges neues Angebot zum Tatkontext Sport eröffnet.
Die Ansprechstelle Safe Sport bietet Betroffenen aus dem Breiten- und Leistungssport auf verschiedenen Wegen psychologische und/oder juristische Erstberatung an. Nach einer Ter minvereinbarung kann eine Beratung vor Ort oder per Videokonferenz in Anspruch genommen werden.
Die Anlaufstelle ist telefonisch unter 0800 11 222 00 oder via E-Mail unter beratung@ansprechstelle-safe-sport.de erreichbar. Weitere Informationen sind über die Website unter www.ansprechstelle-safe-sport.de verfügbar.
Darüber hinaus gab es auch Neuerungen bei bestehenden Angeboten. So ist das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (0800 22 55 530) jetzt auch mehrsprachig erreichbar. Sprachliche Barrieren sollten kein Grund sein, keine Hilfe zu erhalten. Das bedeutet: Auf Wunsch der anrufenden Person wird zu Beginn des Gesprächs eine Dolmetscherin hinzugeschaltet.
Diese Dolmetscherinnen sind für das Thema sensibilisiert und unterliegen der Schweigepflicht. Auf diese Weise wird das Hilfe-Telefon weiterhin anonym und auf die Bedürfnisse Betroffener zugeschnitten angeboten.
Das kostenlose Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen gibt es zum 10-jährigen Jubiläum nun mit einer einfacheren verkürzten Telefonnummer. Die fünfstellige Vorwahl fällt weg und das Hilfetelefon kann direkt unter 116016 erreicht werden. Auch Beratung über Chat oder E-Mail ist möglich. Eine erfreuliche Neuerung besteht auch in der Möglichkeit, die Nummer aus dem europäischen Ausland anzurufen. Dann werden Ratsuchende sofort an die Hilfetelefone des jeweiligen Landes weitergeleitet. Mehr Infos zum Hilfetelefon gibt es hier:
www.hilfetelefon.de.
Seit nunmehr 10 Jahren gibt es auch den Fonds sexueller Missbrauch. Seit 2013 stellt er niedrigschwellig konkrete Unterstützung für Menschen zur Verfügung, die in der Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erlebt haben. Mehr als 23.000 Menschen haben dies bisher genutzt. Über den Fonds gibt es finanzielle Unterstützung für Therapien, Qualifizierungsmaßnahmen und vieles andere, was Betroffenen individuell bei der Bewältigung der Folgen der Gewalt hilft.
Die Vernetzung Betroffener aus allen Tatkontexten substantiell voranzubringen, hat sich das im September neu gegründete Netzwerk „aus unserer Sicht“ zum Ziel gesetzt. Das Netzwerk versteht sich als politische Interessenvertretung. Die Perspektiven und Anliegen Betroffener sollen in der Politik, in Institutionen und der Öffentlichkeit eingebracht und Beteiligungsstrukturen gefördert werden. Der erste Fachtag des Netzwerkes von Betroffenen für Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend fand im November statt.
Rund um das Thema (digitale) sexualisierte Gewalt wurden in 2023 verschiedene Studien,
Kampagnen und Online-Portale etabliert.
Die JIM-Studie 2023 macht deutlich, Jugendliche erfahren sexuelle Belästigung, Falschinformationen und Hasskommentare im Netz. Jedes dritte Mädchen und jeder vierte Junge wurde 2023 im Netz schon einmal sexuell belästigt. 23 Prozent wurden im letzten Monat vor der Befragung ungewollt mit pornografischen Inhalten konfrontiert. Zudem gaben 14 Prozent der Jugendlichen an, innerhalb des letzten Monats selbst im Internet angefeindet oder beleidigt worden zu sein. Dies sind Ergebnisse der JIM-Studie 2023 des Medienpäda gogischen Forschungsverbund Südwest (mpfs): https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2023.
Das Projekt Beyond Digital Violence, kurz ByeDV, hat Qualitätskriterien für die Beratung von Kindern und Jugendlichen veröffentlicht, die von mediatisierter Gewalt betroffen sind. ByeDV wurde in enger Zusammenarbeit von Praxis und Forschung durchgeführt. Die SRH Heidelberg und DGfPI e.V. haben gemeinsam mit fünf Fachberatungsstellen für sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend Handlungsoptionen in die Praxis implementiert und vorhandenes Praxiswissen verschriftlicht. Die Qualitätskriterien sind über die Projektwebsite von ByeDV abrufbar: https://byedv.de/.
Das Petze-Institut errichtete in 2023 das interaktive Webportal ECHT KRASS für Jugendliche im Alter von 13-18 Jahren. Das Portal https://echt-krass.info/ bietet Informationen, Aufklärung- und Hilfsangebote rund um das Thema sexualisierte Gewalt, dem Jugendlichen in verschiedensten Facetten begegnen.
Am 13.11.2023 haben Bundesfamilienministerin Lisa Paus und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Klaus, die zweite Phase der Kampagne für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt in Berlin vorgestellt. „Schieb deine Verantwortung nicht weg!“ ist als mehrjährige Kampagne konzipiert. Hier geht es zur Landingpage der Kampagne mit umfassenden Informationen und Materialien zum Download und Bestellen: https://nicht-wegschieben.de/home/.